1883 und 1923 – Prequels zu Yellowstone mit gleichem Herz

Taylor Sheridan ist der Macher hinter den Yellowstone-Serien-Prequels 1923 und 1883.

1883 handelt vom beschwerlichen Weg der ersten Generation nach Westen. In 1923 kämpfen Duttons ganz der Mutterserie entsprechend um ihr Land in Montana, während sich Spencer Dutton auf einem Roadtrip voller Hindernisse von Afrika zurück nach Yellowstone durchschlägt.

Sheridan zeigt auch in den Prequels wenig Interesse, Plots „voranzutreiben“. Geschwindigkeit und Tonalität bleiben vertraut gemächlich, das Thema Freiheit bleibt stets präsent, die Naturaufnahmen und Bildgewaltigkeit sind atemberaubend, die Hauptfiguren gutaussehend, die Charaktere und ihre Rollen durch die Generationen hinweg Spiegelbilder. Gleiche Kämpfe, gleiche Schauplätze, teils gleiche Beats, dazu gleiche Herausstellungsmerkmale, Back Stories und Eigenschaften der Duttons. „Same but different“, wie es oft im Storytelling gemahnt wird, trifft es hier nicht. 

More same than different: eher gleich als unterschiedlich

Beide Prequels sind „more same than different“ und das wahrscheinlich mit voller Absicht. Es sind diese Ähnlichkeiten, die uns zeigen, wieso die Duttons so sind, wie sie sind. Wiederholungen in Stories haben viele Effekte: Sie können zu Langeweile führen, es sei denn, es ist einfach so schön, dass wir es immer wieder gerne schauen. Wiederholungen schaffen Betonung, Identität, und irgendwann kommt auch das langsamere Bewusstsein nicht mehr aus zu beobachten, wie wir uns immer gleich manipulieren lassen.

Gleich verbindet

Was bei Yellowstone funktioniert, um uns für die Duttons – selbst die „bipolaren und psychopathischen“ – einzunehmen, funktioniert genauso in den Prequels: Duttons können lieben (anders als ihre Gegner), und sie lieben mit gewaltiger Treue, Hingabe und im gegenseitigen Respekt und Vertrauen. Die Duttons sind immer mutig, mit dem Kopf voraus durch die Wand, in nichts vorsichtig – schon gar nicht in der Liebe.

1883 zeigt die Duttons als enge Kernfamilie, zwischen deren Mitgliedern es kaum Konflikte gibt. 1923 ist die Familie sich ebenfalls nah – trotz eines Sohns, der wegen Kriegstraumata zwar abtrünnig, aber nicht entfremdet ist. Im Übrigen ist dieser ein geborener Killer und Ex-Soldat ist. Wirkt vertraut? Die Grenzen zwischen ihm und Kayce aus Yellowstone verwischen genauso wie zwischen den übergroßen Vaterfiguren durch die Jahrhunderte.

Ebenso die Frauen – egal ob 100 Jahre früher oder später – die Frauenfiguren sind stark, unabhängig, kämpferisch. Teils überstrahlen sie mit links die Männer, wie Helen Mirrens Cara in 1923. Sie sind nicht minder entschlossen oder gefährlich: Der Unterschied zu den Männern? „We kill slower.“  

Über die Hauptfigur und Erzählerin von 1883 urteilt ein alter Mann, dass Elsa, obwohl nur ein Bruchteil seines Alters, in ihrem kurzen Leben ihn „out-lived … out-fought. …out-loved“ hätte. Von ihr zu Alexandra in 1923 ist es nicht weit. Da sieht man, dass der gleiche Mann beide Serien geschrieben hat. Vielleicht wäre etwas mehr Unterschied interessanter (auch optisch), aber der Effekt der Ähnlichkeit unterstreicht die Einheit der Dutton-Familie selbst über Generationen hinweg.  

Die Dysfunktionalität der Familie von Yellowstone beschränkt sich darauf, ein Erbe des Heute zu sein. In den Prequels wird das schöne Familienideal kaum befleckt. Auch deshalb fühlten sich die Prequels wie eine Erholung an. 

Es macht also Spaß, dieser übergroßen Familie in ihren Ursprüngen zuzusehen. Die Duttons erzählen eine Familien-Saga, in der die Familie mehr als Familie ist: ein Ideal – so wie das Land und ihre Lebensweise, die sie unter allen Umständen und mit allen Mitteln verteidigen. 

All same, not different. 

Gleich schafft und erklärt Identität

Die Prequels in ihrer ruhigen, sich wiederholenden Erzählart erklären die Handlungen und Blutfarbe der Duttons und welche Antriebe, Werte und Träume sie leiten. Mit der historischen Rückschau scheint die Mentalität der Amerikaner und deren Ursprünge noch stärker auf. Das geschieht eindrücklicher als in Dokumentationen, denen die Fantasie und emotionale Wucht der Fiktion fehlt — oder die Dreistigkeit und die an sich lobenswerte Unmöglichkeit, schamlos zu übertreiben. Was bei einer Nation, in der Storytelling in den Adern fließt, bei allem intellektuellen Anspruch aber eben oft nicht ausreicht, damit wir sie verstehen. 

Gleiche, unbequeme Freiheit

Da wäre wieder das Thema Freiheit. Taylor Sheridan liefert hierzu ein Kaleidoskop an Gedankenströmen von Elsa, der Hauptfigur von 1883. Elsa erforscht das Wort Freiheit in Voice-Over, poetisch, pathetisch oft, aber vieles könnte 1:1 an die Wand geschrieben werden.

Freiheit ist …. 

„No rules – only life.“

„Freedom to most is an idea, an abstract thought that pertains to control. That is not freedom, that’s independence. Freedom is riding wild over untamed land with no notion any moment exists beyond the one you are living.” 

Aber auch: “Freedom also means embracing the consequences.” 

In 1923 setzt sich das Thema Freiheit fort – auch hier leuchtet die Freiheit nicht als etwas Leichtes auf, sondern in ihrer ganzen brutalen Unbequemlichkeit. Wenn Cara darüber spricht, wie hart das Leben auf den Ranches ist, mag sich die Frage stellen, warum halten die sich für frei? Da ist doch jeder Zahnarzt freier. Und es wird klar – Freizeit und Freiheit sind nicht dasselbe.

Dieser Gedanke allein ist es wert, die Serie anzuschauen – in jener eigenen Freizeit, bei der wir oft meinen, dass erst in ihr unser Leben stattfindet. Kein Dutton würde diesen Gedanken verstehen. Auch das könnte die Serie als Spiegel unangenehm machen. Die Serie will schön sein, aber schön ist nicht gleich bequem.

Natürlich geht es ihnen immer um politische Freiheit, und, so sehr Wild West, darunter verstehen sie auch die Freiheit, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Jemanden zusammenzuschlagen oder gar zu hängen. Sich zu verteidigen, wie es einem passt. „This is Yellowstone. You have no rights here.“

Über diesen Aspekt der amerikanischen Kultur und Mentalität kann man kluge Sachbücher lesen – emotional verstehen kann man es hier und dabei diese Serienwelt nutzen, um in den Spiegel der eigenen Wertrelativität zu schauen. 

Gleiche Werte – gleiche Wertrelativität

Wie die Mutterserie funktionieren die Prequels so, dass die Duttons die gleichen Werte teilen. Gleichzeitig handeln die Alternativen zu den Duttons stets (noch) unmoralischer. Dabei spricht 1923 sogar explizit aus, dass die Duttons in vielen ihrer Handlungen nicht anders agieren als ihre Feinde. Gewalt ist immer da, immer eine Option. Im Auftakt von 1923 heißt es, Gewalt verfolge die Duttons. Und wenn nicht, gingen sie darauf zu.  Aber die Feinde sind eben noch skrupelloser. 

1923 sind die Gegner gierige Mining Companies, die sogar die Kinder ihrer Feinde töten würden. Das lädt ein zu beobachten, wie gut unsere Moral mit der Relativität von schlimmer versus nur schlimm zurechtkommt.

Selten ist es mir so bewusst geworden: Werte, politische Einstellungen werfen wir bei denen, die wir mögen, schnell über den Haufen. Das ist im Grunde eine sehr banale Erkenntnis, beobachtbar jeden (All-)Tag. Wir schauen da nur nicht so gerne selbstkritisch hin. Eine Serienwelt, die dies so deutlich vor Augen führt, hat ihre Existenzberechtigung allein dafür verdient. 

Gleich im Widerstand gegen blinden Fortschritt

In 1923 sehen wir wunderbare Szenen zwischen Harrison Ford und Helen Mirren (Jacob und Cara Dutton), in der sie sich gegen Gier erklären und damit eine Kritik an heutigen Entwicklungen, dem Konsumverhalten und, ja, sogar den von Konzerninteressen geprägten Körperkulten des 20. und 21. Jahrhunderts aussprechen, denen Menschen wie Schafe folgen. Auch hier zeigt sich eine graue Welt: 

Ja, Duttons sind nicht nicht gierig. Sie glauben jedoch, dass sie sich verteidigen müssen gegen jene, die ihnen nehmen wollen, was sie hart erarbeitet haben. 

Ja, Duttons misstrauen dem sogenannten Fortschritt, wollen das Rad anhalten, gar zurückdrehen. Aber sie hinterfragen auch klug, was denn damit gemeint ist: Nicht nur Fortschritt für eine Gruppe, die profitiert?

Glaubt man, dass die Serie rückwärtsgewandt wäre und es einem reaktionären Klientel in den USA einfach macht, liegt man wohl daneben. Yellowstone und die Prequels sind so modern wie archaisch. Sie nehmen sich Zeit Themen aufzugreifen und darin ultrarechten, kreationistischen, rassistischen, frauenfeindlichen Gruppen gegenüber unbequem zu sein.

Das gilt insbesondere für die eindrückliche Darstellung der Gewalt an den amerikanischen Ureinwohnern. 1923 nimmt sich viel Zeit für die Folter im Mädcheninternat für Natives und damit für eine der großen Schanden der amerikanisch-christlichen Geschichte –, und zwar ohne dabei das zu tun, was man den „Plot vorantreiben“ nennt. Das ist mutig – und ein spannendes Kind des neuen langformatigen Storytellings, das fast wie ein neuartiges Genre schmeckt.

Gleich in Übertreibung, in Schönheit und Herz 

Die Naturgewaltigkeit der Prequels sprechen die gleiche Bildsprache wie die Mutterserie. 1923 würzt die Schönheit des Westens diesmal mit Afrika an. Der Kampf mit der Natur wird stilisiert, fast schon maßlos übertrieben. Man fragt sich bei 1923 zwischendurch, wie Afrikaner es eigentlich schaffen, eine Nacht in den Steppen zu überleben. Da muss man immer mal wieder ein Auge zudrücken, aber der Zweck ist offensichtlich: alles, um das Krieger- und Jäger-Image des Dutton-Sprösslings ins richtige – und vertraute – Bild zu rücken, und um die Natur überall zu einer Hauptfigur zu machen. Ein paar Mal zu oft merkte ich, wie ich bewusst den „Suspension of Disbelief“-Button drücken musste, also jenen Knopf, der uns erlaubt, eine (unrealistische) Story zu genießen.

Aber auch hier gilt: Schönheit triumphiert. Und so wie die Duttons ihre Familie lieben, ihre Partner, so lieben sie das Land. Selbst wenn es sie nicht zurückliebt, wozu auch, es ist wie Gott, das einzige, was größer ist als die Duttons selbst. Die Natur, das Land, das ist der geliebte Gegner, allgegenwärtig, ob in Yellowstone, den Great Plains von 1883 oder in Afrika.

Und damit will ich zuletzt noch einmal hervorheben, wie sehr diese Serienwelt von Schönheit lebt. Dazu gehört die Schönheit ihrer Sprache. In Dialogen, in Einsichten, in Sätzen, so einfach und klar, so kunstvoll.

„If insanity is a thing you could touch – that what war is.”

“I am a very jealous lover – I will not share you with your demons.”

Diese Serie(n): Es geht ihnen darum, Schönheit zu zeigen und zu sehen, selbst im Angesicht der größten Gewalt.

Und so ziehe ich vor Taylor Sheridan den Hut. Denn er schafft Schönheit. Seine Figuren sind fähig, Schönheit und Herz zu sehen. Das Filmmaking verweist ohne Unterlass auf die Schönheit und das Herz des Landes. Darin ragt die Figur von Elsa wie ein Flaggschiff heraus, und so ist es passend, dass sie für den Beginn der Duttons of Montana steht und eine Ära einleitet mit zwei ihrer herausragenden Eigenschaften:

No caution in love.

It’s about seeing beauty.