Die Serie Deutsches Haus als eindrücklich zu beschreiben, fällt mir schwer. Warum? Weil ich es gerne anders hätte: die Geschichte. Im doppelten Wortsinn. Und nachdem ich einen Blog schreibe, hat sich etwas von ihr offenbar „eingedrückt“. Daher differenziere ich mal: Sie ist eindrücklich wegen des Hintergrunds, historischen Themas, Settings, der Kraft des Benennens in karger Sprache und vor allem aufgrund der sogenannten Nebenfiguren.
Helden in Nebenfiguren
Das Wort Nebenfiguren trifft nicht, denn diese sind das Epizentrum der Geschichte. Sie sind die Helden. In ihrem Handeln, Zeugnis, Auftreten begegnen wir dem Eindringlichen, Inspirierendem, Bewegendem, erleben karge Kraft.
Die Protagonisten hingegen sind in Deutsches Haus nicht die Helden. Die Serien handelt nicht hauptsächlich von jenen, die es endlich wagten, aus der Finsternis die Wahrheit zu kratzen, in mühevoller Arbeit gegen zahllose Hindernisse. Darüber gibt es andere filmische Werke. Von denen sollten wir vielleicht 10 sehen. Deutsches Haus langt mir einmal.
Desillusion im Deutschen Haus
Die Familie Bruhns von „Deutsches Haus“ enthüllt ihr eigenes Nicht-Heldentum und steht damit für die Mehrheit. Sie steht für: Wir sind keine Helden. Selbst wenn wir uns das anders wünschen, träumen oder denken. Die Stärke der Serie liegt darin, dass sie diese Desillusion auch in den Nebenplots durchzieht.
Hängen bleibt der kristalline Satz des polnischen Friseurs nach Evas Besuch, als er ihr psychologisches Bedürfnis in wenigen Worten zusammenfasst: „Sie wollen, dass wir sie trösten.“ Und damit steht die Hauptfigur ekrannt da: gläsern, schwach, ja, menschlich. Aber reicht uns das?
All dies macht keine Freude. Das ist angemessen für das Thema. Aber es inspiriert auch nicht, und das wiederum ist problematisch. Deutsches Haus ist realistisch; auf typisch deutsche TV-Manier in manchen Momenten sogar zu naturalistisch, so wie wenn wir Jürgens Backstory schließlich hören (müssen). Selbst dieser Nebenplot zwischen Eva und Jürgen macht keinen Spaß (Liebesgeschichte klingt hier ebenfalls falsch). Am Ende resümiere ich resignierend, zumindest passen sie zusammen.
Niederdrückende Realfiktion
Wie viele der Zuschauer werden sich fragen, ob sie selbst Helden sind oder wären? Und damit an einen Ort schauen, an den wir nicht hingucken wollen. Vielleicht ist es wichtig, dass wir uns selbst irgendwann ohne Beschönigung sehen. Aber was folgt denn dann daraus?
Überhaupt: Kann es Helden ohne Vorbilder geben?
Angenommen die meisten Filme, Serien, Romane würden Geschichten erzählen so wie Deutsches Haus. Was dann? Was wäre, würden wir hauptsächlich solch niederdrückende Realfiktion sehen?
Um es nochmals zu betonen: In ihrem Anspruch an Realfiktion reüssiert die Serie, indem sie den Durchschnitt zu Protagonisten macht, die Serie genauso betitelt und das Ganze bis zum Ende und durch die Handlungsstränge durchzieht.
Protagonisten oder was?
Wenn ich mir die Definition von „Protagonist“ anschaue und was wir damit im übertragenen Sinne bezeichnen, könnte ich nach der Serienschau heulen. Vielleicht reden wir lieber von „Figuren mit der meisten Sendezeit“. Hauptsächlich Handelnder scheint auch schon zu viel, wenn das Mitlaufen so zentral ist.
Eine Geschichte ohne Helden in den Hauptrollen ist meistens wenig erhebend. Womöglich lässt sie uns sogar deprimiert zurück. Das lässt mich die Frage stellen: Wofür gibt es Geschichten? Für die Darstellung der Mehrheit und wie sie handelt – oder für das Unglaubliche der Wenigen?
Heldentum – das Unglaubliche der Wenigen
Können wir ohne Helden leben? Sollten wir?
Als ich damals für den Right Livelihood Award („Alternativer Nobelpreis“) arbeitete, und Menschen begegnen durfte, die gegen alle Widerstände stehen bleiben, die dem Grauen ins Gesicht blicken, angegriffen wérden, ins Gefängnis oder Exil gehen, da habe ich sie immer für ihren Mut geehrt im Wissen, ich hätte ihn nicht. Aber ich konnte jene, die solchen Mut haben, unterstützen. Genauso können wir auch Geschichten über solche Menschen erzählen.
Wahrscheinlich sehe ich gerade selbst deutlicher, warum meine eigenen Romane und Geschichten Heldengeschichten sind.
Ich war jedenfalls froh, kurz vor der Serie ein Buch von Tim Pröse gelesen zu haben Auch Pröse erzählt Reales. Aber es zielt auf die Wenigen.
Wenige sind Helden. Ehren wir sie, unterstützen wir sie, erzählen wir von ihnen. Und einmal von zehnmal oder einmal von vierzigmal – schauen wir etwas wie Deutsches Haus. Vielleicht lässt es uns vorsichtiger urteilen. Denn wie hätten wir wohl gehandelt? Und auch das Heldentum an sich – wie sehr wurde es damals narrativ von den Nazis missbraucht. Das darf ebenfalls nicht vergessen werden.
„Sie wollen getröstet werden.“
Ich freue mich auf andere Protagonisten.