Die dritte Staffel der Serie Yellowstone trägt einen erneut unmittelbar in das Erleben von Archaik. Sie setzt alles fort, was die ersten beiden Staffeln aufgebaut haben, bringt wenig Neues hinein. Doch viel stärker beschleicht uns nun das Gefühl, dass wir einer Götterdämmerung zuschauen: dem sich seinem Ende neigenden Rancher-Dasein, dem Tod des urtümlichen Wilden Westen, der Abenddämmerung der Familie Dutton und ihres Tals.
Abenddämmerung: Der Kampf um die eigene Art zu leben
Was mich dabei fasziniert ist die Tatsache, dass diese Familie eigentlich nicht um Leben und Tod kämpfen müsste, wenn sie nicht um das Überleben ihrer Art zu leben kämpfen würde.
Würden die Duttons aufgeben, wären sie (physisch) in Sicherheit, reich, manche würden sagen sogar: freier. Aber stimmt das? Stimmt überhaupt die Annahme, dass es einen Unterschied macht, ob wir um Leben und Tod kämpfen oder um Leben und Tod unserer Art zu leben? Was hängt da dran …?
Und schon sind wir wieder in dem Bereich gelandet, der für mich nach wie vor einen großen Teil der Faszination dieser Serie Yellowstone ausmacht: die Priorisierung von Werten, das Beobachten der Wankelmütigkeit und Flüchtigkeit von Moral, den Gesetzen, die unser gesellschaftliches Miteinander auf eine friedliche und stabile Basis heben (sollen), der Bewertung von Handlungen und Motivationen. (Hierzu auch meine Rezension zu Staffel 2)
Rohe physische Gewalt ist wie in den vorigen Staffeln allgegenwärtig, dagegen stellt die Serie nun den Krieg mit anderen Mitteln, z.B. in der Form von Shortselling-Attacken an den Finanzmärkten. Fäuste, Prügel, Schusswaffen versus Kostüme, Graphen und Anzüge. Was ist eigentlich Zivilisation? Und wenn die Anzugträger mit ihren Waffen aus Geld und Gesetzen nicht weiterkommen, worauf greifen sie dann zurück?
Schon katapultiert sich die Serie zurück in das Archaische. Töte den König, dann kriegst du sein Land.
Viel Altes in Plot und Setting, bedeutsam Neues in den Figuren
Vieles wiederholt sich in der dritten Staffel, die Bilder von Rodeos, Ritten, Rindertreiben haben wir zigmal gesehen, aber die Gewaltigkeit darin hört nicht auf, auf uns zu wirken, in vielfältiger Hinsicht. Dazwischen weben sich neue Bilder, wunderschöne Szenen, in denen erneut die Verbundenheit mit Land und Tieren aufflackert, die Magie und der Mythos einer Einheit von Mensch und Natur. Kayces Begegnungen und Gespräch mit einem Wolf öffnen ein Fenster in diese unzertrennbare Nähe von vierbeinigen Geschöpfen und Menschen, denen oft ein Tierleben mehr zählt als ein Menschenleben. Außerdem freuen wir uns in diesem Moment einfach über die Hommage an Kevin Costners filmische Vergangenheit.
Manche Dialoge, v.a. wenn Beth ihrem Hass auf Jamie oder ihren Drohungen gegenüber Geschäftsgegnern in ihrer ganzen verbalen Radikalität freien Lauf lässt, kennen wir ebenfalls zur Genüge. Diesem Vertrauten, bereits Gesehenem oder Gehörtem stellt die Serie in der dritten Staffel etwas entgegen:
Denn jetzt, in der Abenddämmerung, passiert tatsächlich Neues mit den Figuren: Sie müssen sich in neuen Rollen zurechtfinden, v.a. John Dutton und Kayce, aber auch Beth. Die Transformation der Figuren nimmt einen Sprung. Das Neue in der Serie entwächst aus den Charakteren. Und plötzlich fangen sie, die so lange verhaftet blieben in der Sprachlosigkeit, an, miteinander zu sprechen.
(vgl. hierzu Rezension zur ersten Staffel)
Morgendämmerung: der Wandel zu einer neuen Art, miteinander zu leben
Das Ende der Sprachlosigkeit – ein zaghaftes Herantasten. So kommen diese Szenen des Mitteilens auch mal mit einer gewissen Komik bzw. liebevollen Ironie. Diese Augenblicke des kurzen Öffnens brechen teils spontan auf, nicht immer aus einem dramatisch überbordenden Moment. Wir sehen den Figuren an, wie unwohl sie sich fühlen, wie neu es ist, die eigenen Gefühle z.B. dem Vater mitzuteilen, aber auch die Wucht der Sehnsucht und der Bedürfnisse dahinter. Es zeigt uns: Diese Figuren sind zermürbt, gebrochen, des Kampfes müde, leid der Distanz und der Barrieren zwischen sich und in sich. Sie brauchen einen Wandel in ihrer Art miteinander zu leben – und mit sich selbst.
Aber werden sie in diesem Prozess freier?
Storytelling, das sich Zeit lässt
Das Schöne ist, dass die Macher den Figuren Zeit lassen. Da geschieht kein radikaler Wandel, wir sehen mehr ein zwei Schritte vor, einen zurück, für andere Charaktere andersherum. Es tut sich was in ihnen, doch die Seile, mit denen sie verbunden sind, bleiben gleich.
Wunden heilen in Yellowstone nicht oder langsam. Das gilt selbst für äußerliche Wunden wie Beths am Ende von Staffel 2 verwüstetes Gesicht. Die Macher lassen diese Male nicht wundersam schnell verheilen. Beth trägt sie von einer Folge zur nächsten weiter, genau wie ihre inneren Wunden. Überhaupt erhalten wir in Yellowstone Staffel 3 endlich Aufklärung über die Größe der Verletzungen, den Ursprung von Beths hasserfüllter Verachtung für Jamie, dem sie keinen Zentimeter weit traut.
Geheimnisse hinterlassen Schwielen am Herzen, stellt John Dutton fest. Dass die Macher der Serie solange mit diesen Geheimnissen hinter dem Zaun gehalten haben, ist starkes Storytelling.
Ein höllisches Leben
Das Aufbrechen der Gefühle bei den Figuren zu beobachten, stärkt die Frage, warum die Duttons überhaupt mit allen Mitteln kämpfen, wenn sie sich dabei ständig selbst schaden?
Wäre es bei alldem nicht besser, wenn sie die Ranch verkaufen würden an die Großinvestoren, die einen Flughafen ins Tal bauen wollen? Vor allem wenn sie die Ranch in ein paar Jahren eh nicht mehr halten können, wenn die Steuern drohen, ihr Land aufzufressen, und aller Kampf „für nichts ist“?
Einmal stellt Tate seinem Großvater John die Frage:
If ranching is so hard – how come we do it?
John Dutton antwortet:
Cause it’s one hell of a life.
Das ist das Wahre an der Art von Storytelling, auf das Leben zu blicken: Das Leben muss nicht bequem sein. Es muss nicht glücklich sein, um „richtiges“ Leben zu sein, es kann hart sein und leidvoll. Tatsächlich ist es hart und leidvoll, die Phasen von Ruhe, Glück, Frieden von kurzer Dauer, der Sommer schnell vorüber. Mag es manchmal überladen wirken oder künstlich, hätten wir sonst wenig Story.
Ob kleine Geschichten oder große, stille oder solche von archaischer Wucht: Storytelling ist eine Feier des Lebens, der Lebendigkeit des Daseins. Auch wenn es unbequem ist. Yellowstone lässt einen das nicht vergessen. Genausowenig lässt es uns vergessen, dass zum Erfahren der Gewaltigkeit des Lebens auch die Gewaltigkeit der Natur gehört.
Fazit zur dritten Staffel von Yellowstone
Yellowstone bleibt mit dieser dritten Staffel ein TV-Erlebnis, das weiter zur Frage einlädt:
Was berührt diese Serie in uns?
Hier geht’s zur Rezension von
Yellowstone Staffel 1
Yellowstone Staffel 2