Yellowstone ist eine bildgewaltige Serie mit und von Kevin Costner, in der die majestätische Natur Montanas eine wichtige Rolle spielt. Ungezähmte Tiere, wildromantischer Cowboy-Look, ein bemerkenswertes Ensemble, eine eindrückliche Titelsequenz und ruhige Hand in Einstellungen und Erzählung fangen den Zuschauer ein und konfrontieren ihn womöglich mit sich selbst.
Helden, Anti-Helden, Archetypen
Doch wer eine urtümliche, großartige Welt bevölkert von klassischen Westernhelden, Underdogs und edlen Cowboys, mit denen man sich gerne identifiziert und sympathisiert, erwartet, wird enttäuscht werden. Man kommt sich in dieser Serie ein bisschen vor wie bei den Tudors – nur anders.
Wenn heldenhafte Züge aufschimmern, kleiden sie sich in Grautöne, in einen Mahlstrom aus Konflikten von Werten, wo richtig auf falsch trifft, Ethik auf der Strecke bleibt. Der Begriff „Anti-Helden“ drängt sich jedoch ebenfalls nicht auf. Er passt nicht auf eine Figur wie John Dutton, die so grau ist, so groß, so überkommen und wie aus der Zeit gefallen. Dasselbe gilt für seine Kinder und Nächsten.
Archetypen von archaischer Wucht flackern in Yellowstone auf und fallen, bekommen neue Drehs. Modernes trifft auf Western. Altes auf Überkommenes.
Trotzdem gelingt es den Machern der Serie, den Zuschauer an die Hauptfiguren zu binden. Storytelling ist von Natur aus manipulativ; es lohnt sich, hier näher hinzublicken, sich anzuschauen, wie funktioniert diese Serie, wie funktioniere ich als Zuschauer?
Dabei mag man entdecken, dass alle Duttons etwas Gebrochenes in sich tragen, was Neugierde und die für die Identifikation mit Figuren so wichtige Empathie weckt. Außerdem handeln sie nicht nur für sich selbst, selbst wenn das, was sie tun, gesetzeswidrig, korrupt, dumm oder gar grausam sein mag. John handelt im besten Glauben daran, das beste für seine Kinder und seine Art zu leben zu tun, das „alte Montana“ und seine Familie zu bewahren. Beths Fixstern ist wiederum ihr Vater; Kayce sorgt für Frau, Kind und jene, die seine Hilfe brauchen und ihm vertrauen, selbst wenn er weder klug noch weise agiert, geschweige denn in der Lage ist, sich mitzuteilen.
Unfreiheit I: Die Entmystifizierung der Cowboys
Diese Unfähigkeit, sich mitzuteilen, durchzieht die ganze Serie nach guter alter Cowboymanier: das Unvermögen, sich in seinem Wesen, in seine Gefühlen, Ängsten, Sorgen mitzuteilen, in tiefe Kommunikation mit sich selbst und anderen zu treten.
Damit steht dieses Familiendrama auch für die Entmystifizierung eines Mythos, die Entromantisierung des Cowboys. Denn gerade im Kontrast zu der wildromantischen Bildgewaltigkeit des Settings wird im Laufe der ersten Staffel immer deutlicher, was dieser Cowboyfamilie fehlt: Freiheit.
Jedes Pferd, das sie zureiten, ist freier als John Dutton und seine Familie. Cowboys und Cowgirl sind gefangen in Sprachlosigkeit, in der Vergangenheit und ihrem Erbe, in ihrer Unfähigkeit jemand anderes zu sein oder zu werden, die Dinge anders anzupacken, als sie sie immer angepackt haben. Sie sind gefangen in ihren Kommunikationsmustern und Verhaltensmustern. Eine andere Art zu leben, eine andere Art zu sein, miteinander umzugehen – sie kommen nicht einmal auf den Gedanken. Selbst wenn sie in klaren Momenten ihr eigenes Gefängnis erkennen, ergeben sie sich den angenommenen Zwängen aus Rollen, Vergangenheit, Vermächtnis.
Als Zuschauer Zeuge dieses Verhaftetseins zu werden, berührt und rüttelt einen auch selbst wach.
Unfreiheit II: Unsere Zuschauerbrille
Jeder Zuschauer wird die Serie durch seine eigene Brille sehen. Welche Tönung hat diese Brille? Rosa-romantisch? Welche politische Tönung hat sie? Welche ethische Prägung?
Ein Hardcore-Republikaner wird die Serie anders sehen als ich. Ein Amerikaner wird die Serie anders sehen als eine Deutsche. Aber das ist das Großartige an dieser Erfahrung, denn hier wird das Thema der Freiheit und Unfreiheit auf uns als Zuschauer zurückgeworfen. Sind wir, das Publikum, denn freier als die Figuren?
Nur wenn wir als Zuschauer unsere Brillen erkennen, können wir lernen, sie abzulegen. Erst dann sind wir frei, Neues zu sehen und zu erfahren. Uns überraschen zu lassen.
Zur Rezension zur zweiten Staffel von Yellowstone geht es hier.