Die Königin schweigt – eine Lebens- und Charakterstudie

„Die Königin schweigt“ von Laura Freudenthaler ist als Lektüre eine eigentümliche Erfahrung: Sie beeindruckte mich, ohne Freude zu machen oder mich durchweg zu fesseln. Kalt ließ sie mich jedoch nicht.

Es ist die Lebensgeschichte und Charakterstudie einer Frau, die sich nie zugestanden hat, die schönen Momente des Lebens zu feiern, ans Glück zu glauben, Nähe zu leben. Gefangen in einem Kokon aus Verlust, Tod, Unglück, Distanz und vermeintlichen gesellschaftlichen Zwängen, Erwartungen, Rollenvorstellungen, Ichvorstellungen, werden wir Zeugen eines Lebens, das weder scheitert, noch so gelingt, dass es uns mit Zufriedenheit erfüllen würde. 

Charakterentwicklung

Stolz, Contenance, Integrität, Loyalität – alles Stärken der Protagonistin und zugleich ihre Schwächen. Wir kennen wahrscheinlich alle Frauen und Männer, in denen wir ähnliche Muster wie in dieser Fanny gespiegelt sehen. Wirklich warm wurde ich mit ihr nicht, Mitgefühl habe ich dennoch empfunden, Traurigkeit wie auch Respekt für ihre Würde.

Wer gerne Charaktere studiert oder für seine eigenen Geschichten komplexe Charaktere entwickeln möchte und bei seinem Leseerlebnis nicht unbedingt nach glücklichen Stunden und Leichtigkeit verlangt, mag dieses Buch mit Gewinn lesen. Wir können hier vieles lernen, wie z. B. das bereits erwähnte Prinzip der Charakterentwicklung im Storytelling, das Helden und Antagonisten meistens ihre entscheidenden Schwächen im Bereich ihrer Stärken haben. Dazu kommt ein faszinierendes Zusammenspiel von Erzähltiefe in der Charakterbeschreibung, Perspektive, Sprache und Sprachlosigkeit. 

Ebenfalls mag man sich Gedanken über die Transformation der Hauptfigur machen: Es ist für Fanny kaum möglich, sich zu verändern, aus ihrer Haut zu schlüpfen. Deshalb ist dieses Buch auch trotz seiner faszinierenden Aspekte so deprimierend. Jedenfalls ist es kein Buch für Leser, die schillernde Wendepunkte erwarten. 

Der Roman als Spiegel

Mag die Identifikation mit der Protagonistin oft schwerfallen, hält das Buch mit diesem klug gewählten Titel dennoch einen Spiegel hoch. Es regt zum Nachdenken an. Es zeigt, wie und warum sich das Leben so entfaltet, wie es sich entfaltet, wie Menschen handeln und wo und wie sie ihre Räume für Freiheit verpassen. Dieses Wie und Warum des Lebens lässt zwischen den Zeilen viel Platz. Es fordert uns Leser heraus, wahrzunehmen, was diese Geschichte mit uns macht, wo sie ihr Echo findet und ihre Wahrheit in uns. Nach Kafka soll ein Buch die Axt sein für das gefrorene Meer in uns. „Die Königin schweigt“ wirkt vielleicht mehr wie ein Spiegel als eine Axt aber: ohne Spiegel keine Axt.

Beeindruckend in Sprache, seiner Beobachtungstiefe und in seiner Konsequenz, schuf „Die Königin schweigt“ keine Freude in mir als Leserin. Oft dachte ich darüber nach, es beiseitezulegen. Aber ich wollte auch sehen, wie sich dieses Leben lebt. Am Schluss lässt die Geschichte uns zumindest ein wenig Gerechtigkeit und Hoffnung: nämlich dass das Gute, das wir tun, zurückkommt. 

Und überhaupt: Wer mag urteilen, was ein gelungenes Leben ist?