In meiner Rezension zur ersten Staffel der amerikanischen Serie Yellowstone mit Kevin Costner griff ich vor allem das Thema Freiheit und Unfreiheit auf. Die zweite Staffel setzt dieses Spiel mit Landschaft, Figuren, Cowboystereotypen und amerikanischer Kultur nicht nur fort, sondern baut darauf ein Haus.
Eine Erfahrung der eigenen moralischen Relativität
Die zweite Staffel verblüfft mit wachsender Sympathie für diese dysfunktionale, gewalttätige, gesetzesignorante, moralsprengende Sippe. Dabei zwingt sie uns als Zuschauer immer wieder zu erleben, wie wir unseren moralischen Kompass über Bord werfen.
Rechtschaffenheit und das Bild, was wir von unserer eigenen Moral haben, zeigen ihr relatives Antlitz und grinsen uns im Spiegel Yellowstones an. Bevor wir jedoch beginnen, zu streng mit uns zu sein, schauen wir lieber weiter gebannt zu, wie dieses Rudel der Duttons ihr Revier verteidigt und uns dabei immer stärker auf ihre Seite zieht.
Aber was passiert da eigentlich? Welcher Prinzipien und Kniffe des Storytellings bedient sich die zweite Staffel der Serie Yellowstone, um uns an Wohl und Wehe dieser Ranch zu binden?
Storyregel: Wer liebt, zieht an
Die Duttons haben immer Krieg im Kopf. Sie schaffen es nicht, aus ihrem eigenen inneren Gefängnis herauszutreten. In der zweiten Staffel jedoch wird ihrer Liebe wie ihren Ängsten mehr Raum gegeben, und so beginnen wir womöglich, jemanden zu mögen, den wir wohl eher nicht in unserer eigenen Familie haben wollten. Zumindest nicht meistens. Aber vielleicht manchmal …
Beth Dutton, schillernd schon in der ersten Staffel, erleben wir in brutal-zarter Widersprüchlichkeit: rücksichtslos und beschützend, sich öffnend und überfordert, verzweifelt in ihrer zur Furchtlosigkeit verurteilten Verdammnis. Manchmal scheint sie in der Beziehung zu ihrem Vater ihre Mutter ersetzen zu wollen, dann kann sie nicht ertragen, ihn schwach zu sehen. Subtilität in dieser Figur? Fehlanzeige. Beth ist in jeder Sekunde so intensiv, dass es manchem nach zu viel riechen mag. Dann kann man sich jedoch immer noch auf die Bewunderung des Talents und Muts dieser Schauspielerin zurückziehen.
Ich allerdings mag Beth, aber warum? Weil sie mich so gut unterhält? Weil sie das Gebrochene in sich wie eine Flagge trägt? Weil sie mich berührt? Weil die Leinwand zwischen uns liegt und mich vor ihrer Intensität und Gewalttätigkeit schützt?
Bewunderung für die Charaktere, Aversion und Mitgefühl liegen oft so nahe beieinander, dass wir gar nicht wissen, was wir jetzt bitte empfinden sollen. Wen das an einen Rodeo-Ritt erinnert, liegt gar nicht so falsch. Diese Serie ist voll mit ihnen.
Storytiefe: Rodeo mit Werten
Ein Beispiel für die Konfrontationswucht dieser Beth Dutton findet sich in der Sequenz, in der Beth ihrer Schwägerin zu Hilfe eilt, weil diese einer bösartigen rassistischen Attacke in einem Laden ausgesetzt ist. Monica ruft nicht ihren Mann Kayce, weil „der jemanden umbringen würde“. Das ist durchaus komisch, weil es gleichzeitig wahr ist und absurd, denn Beth ist im Grunde die Heftigere von beiden Geschwistern. Nur ihre Fäuste sind nicht so tödlich.
Im Folgenden können wir uns darin beobachten, wie wir uns auf Beths Erscheinen freuen, die der systematischen Gewalt, der Monica von Verkäuferin und Polizei ausgesetzt ist, ein Ende bereiten wird. Wir nehmen jedoch vielleicht auch wahr, wann die Genugtuung über die Gerechtigkeit, die Beth verübt, zu Wanken beginnt. Wann sie Zweifeln Platz macht, da die Demütigung der Verkäuferin kein Ende nimmt. Am Ende ist es Monica, die der Brutalität von Beths Feldzug ein Ende bereitet. Und Beth? Sie hätte ewig so weitermachen können.
Selten erlaubt uns eine Geschichte, die dünne Linie von Gerechtigkeit zu Rache, Selbstjustiz bishin zu Folter in so kurzer Zeit so intensiv mitzuerleben.
Storytelling sagt: Nimm einen Wert und ändere ihn. Beleuchte ihn in seiner ganzen Breite, der Palette seiner Tönungen, Intensitäten bis zum anderen Extrem. Liebe – Gleichgültigkeit – Abneigung – Hass – Selbsthass … Die Charaktere von Yellowstone schlagen diese Töne gleichzeitig an wie Akkorde, und wir als Publikum stecken mittendrin.
Storyprinzip: Was steht auf dem Spiel?
In der zweiten Staffel von Yellowstone tritt der Kampf der Duttons in stärkerer archaischer Schärfe hervor: Sie greifen nicht nach mehr, sie verteidigen sich. Ihr Land, ihre Familie, ihr Leben. Macht sie das heldenhafter?
Was definiert einen Helden? – Er ist bereit, sich zu opfern. Wenn das, was auf dem Spiel steht, so groß ist, dass selbst John Dutton bereit ist, sein Land zu verlieren – aus Liebe –, dann sind wir als Zuschauer ganz bei ihm. Und schon fiebern wir Staffel 3 entgegen …
Storykniff: Mach den Feind ultimativ
In der zweiten Staffel sind die neuen Feinde der Duttons nicht mehr so grau wie in der ersten Staffel und wie sie selbst, sondern dunkelschwarz. Das hilft uns dabei, die Duttons als die „Guten“ wahrzunehmen. Wenn die Gegner noch böser sind, sind damit die nicht ganz so Bösen gut? Da schreit der aufgeklärte, rationale Geist auf, aber eher nur kurz. Und schon beobachten wir uns erneut darin, wie relativ unsere Moral um sich selbst schwankt.
Die Serie hält den Spiegel hoch. Wer ein wenig zur Selbstreflexion neigt, wird sich darin erkennen – in den eigenen widersprüchlichen Grauschattierungen.
Blicke in die amerikanische Seele
Die Serie Yellowstone zieht Logik, Herz, Werte, Moral in einen Strudel aus Abgründen und wunderschönen Momenten. Zu letzteren zählt zum Beispiel die kurze Szene im Showdown der letzten Folge der zweiten Staffel, als einem Pferd indianische Schutzzeichen aufgemalt werden. Ein paar Sekunden von Magie, Sorge und uralter Weisheit, und wieder einer der Momente, in denen Liebe und Krieg, Klischee und Schönheit miteinander tanzen.
Ist das ein Aufruf, dass der Zweck alle Mittel heiligt? Wegen solcher Fragen lässt sich über die Serie so wunderbar diskutieren, deshalb hallt sie nach und bietet uns an, nach innen zu blicken. Selbst wenn uns als Deutschen manche Wendungen absurd erscheinen, so müssen wir der Serie wohl zugutehalten, dass sie uramerikanisch ist. Dass sich in diesem wilden, nur oberflächlich modernen Westen niemand um Morde kümmert oder mal die Polizei ruft, sondern das Recht selbst in die Hand nimmt, lässt uns vielleicht ungläubig zurück, aber für Amerikaner trifft es Kernaspekte ihrer Mentalität und Geschichte. Dies beinhaltet Misstrauen gegenüber der Staatsgewalt und die Grundüberzeugung, dass es am besten ist, die Dinge in die eigenen Fäuste zu nehmen.
Serienkritik zu Yellowstone Staffel 2 – Fazit
Wie viel Leid hätten Yellowstones Bewohner vermeiden können, wenn sie anders zu handeln gelernt hätten? Viel, aber nicht alles Leid, denn Staffel 2 macht die Duttons zu Getriebenen. Das tut unserer Bindung an sie gut. Der Fortsetzung der Serie tut wiederum die Verhaftung der Charaktere in ihren Gedanken- und Verhaltensmustern gut, denn diese treiben die Konflikte an. Das ist eine famose Mischung aus plotgetriebenem und charaktergetriebenem Geschichten-Erzählen.
Ich fand die zweite Staffel stärker als die erste Staffel. Sie ist Kinoerlebnis in Bildern, Soundtrack, Dialogen, Figuren, Plot, in ihrer Brutalität wie Schönheit, in ihrer anachronistischen Kompromisslosigkeit, in ihrem leidenschaftlichen Spiel auf der Tastatur von Werten. Aber sie ist nichts für zarte Gemüter oder Schöngeister. Sie ist Rodeo.