Ins Eis – Wie entsteht ein Skandinavienroman?

Nehmen Sie sich einen Moment und konsultieren Sie Ihren Globus oder Weltatlas. Suchen Sie Skandinavien, Norwegen, das Nordkap und fahren Sie von dort mit dem Finger weiter nach oben. Ungefähr auf halber Strecke zwischen dem Nordkap und dem Punkt, an dem die Welt endet, liegt eine Inselgruppe im Meer: Spitzbergen.

Die Idee: ein Spitzbergenroman

Ich bin an verschiedene Enden der Welt gereist, aber ob Feuerland, Neuseeland, Alaska oder Grönland – niemals zuvor hat mich ein Ort so gefesselt wie dieser abgeschiedene Archipel jenseits des Polarkreises. Lange bevor ich überhaupt meinen Fuß auf Spitzbergen gesetzt hatte, hatte ich mir vorgenommen, einen Roman über die Arktis zu schreiben. Hundeschlitten sollten darin vorkommen, die harsche Natur des Nordens eine Hauptrolle spielen. Die erste Idee, ein Roman über die Zeit der frühen Expeditionen, verwarf ich wieder, ein zweites Konzept, ein Thriller auf Spitzbergen, ging nicht auf. Mein Abflugdatum nach Spitzbergen rückte näher und mit Ausnahme der Idee von als Unfällen getarnten Morden während einer Hundeschlittentour fehlte der Geschichte noch weitgehend das Gerüst. Ich musste auf Eingebungen vor Ort hoffen.

Arktisroman & Reisebericht

Im Flugzeug nach Longyearbyen ergab es sich, dass ich inmitten einer Gruppe gut gelaunter Männer aus London saß. Es waren Banker, die nach Spitzbergen flogen, um dort den runden Geburtstag eines Kollegen zu feiern. Ich weiß nicht, wie ihre Party ausging, aber immerhin kam meines Wissens keiner um.

Meine Spitzbergentour im Februar 2011 verlief ebenfalls ohne Mord und Totschlag. Ebenso ohne Familienfeier und Eisbärenbegegnungen. Dennoch ist der Roman ein Reisebericht. Die beschriebene Hundeschlittentour von Longyearbyen bis Tunabreen im Tempelfjord und zurück folgt weitgehend der Route meiner eigenen Tour. Die extremen Wetterwechsel von plus ein Grad an einem Tag zu minus einunddreißig Grad innerhalb von weniger als vierundzwanzig Stunden haben wir auf unserer Tour genauso erlebt wie beschrieben; wir haben bei eisigen Temperaturen und Wind mit Streichhölzern gekämpft, um Klopapier zu verbrennen, und mussten offene Stellen im Fjordeis im großen Bogen umfahren. Dazu kommen die unvergleichlichen Farben des frühen arktischen Lichtwinters, der Chor der heulenden Huskys und, natürlich, die „Noorderlicht“. 

Das Vorbild für das Segelschiff existiert tatsächlich. Mit der „Noorderlicht“ kann man im Sommer und Herbst Segeltörns rund um Spitzbergen und Norwegens Lofoten buchen, im Winter liegt bzw. lag sie als Hotelschiff im Eis des Tempelfjords. Besonders dort bietet sie einen fesselnden Anblick. Sowie wir mit den Hunden das erste Mal an ihr vorbeifuhren und sie in der Ferne im Eis liegen sahen, wusste ich, ein perfekteres Setting würde ich wohl kaum finden. 

Romanrecherchen und Romanhelfer

Wenn ein Roman so sehr Reisebericht ist, ist es nur angemessen, all jenen zu danken, denen ich auf diesen Reisen begegnet bin. Manchmal haben sie – wenn auch eher unabsichtlich – den Grundstein für die ein oder andere kleine Idee gelegt (Ähnlichkeiten mit realen Personen sind aber rein zufällig!). Dank gebührt meinen herausragenden Reiseleitern, die nicht nur darauf achteten, dass man sich nicht aus Versehen umbringt, sondern gar geduldig Fragen beantworteten, wie man sich denn auf Spitzbergen möglichst überzeugend aus Versehen umbringen könnte. Vor allem Robin, mein Guide auf der „Noorderlicht“ im Oktober, hat sich mit eher ungewöhnlichen Fragen zu Selbstschüssen und tödlichen Flussquerungen herumschlagen dürfen.

Ein Dankeschön geht auch an Michael Bieg, der mich in Fragen rund um das Bankwesen und Gesellschafterstrukturen beriet. Außerdem möchte ich den beiden Mitarbeitern des Gouverneurs von Svalbard danken, die sich Zeit nahmen, meine Fragen zu Rettungs- und Polizeiarbeit auf Spitzbergen zu beantworten, dem Redakteur von Svalbardposten, der mich an der Straße aufgabelte und fragte, ob mir meine Mutter nicht beigebracht habe, dass ein Mädchen nicht mit fremden Männern sprechen oder gar zu ihnen ins Auto einsteigen solle. Doch, hat sie. Aber im Auto frisst einen zumindest kein Eisbär.

Eisbären: Gjelder hele Svalbard

Zum Thema Eisbären: Als ich das erste Mal nach Longyearbyen kam, berichtete die örtliche Zeitung über einen herumstreifenden Bären am Rande des Ortes, der zwei Hunde angegriffen hatte, bevor er vertrieben wurde. Der Zwischenfall mit Kirsten zu Beginn ihres Aufenthalts fand darin sein reales Vorbild. Bis zu meiner ersten Reise hatte es auf Spitzbergen seit mehr als einem Jahrzehnt keinen für Menschen tödlichen Zwischenfall mit einem Eisbären gegeben. Im Sommer 2011 brach dann ein Bär in ein Camp britischer Jugendlicher ein, verletzte mehrere und tötete einen Schüler. Die Gefahr durch Eisbären für Touristen ist – bei richtigem Verhalten und angemessenen Vorsichtsmaßnahmen – absolut beherrschbar. Dennoch ist sie sehr, sehr real. Gjelder hele Svalbard – das gilt überall auf Spitzbergen.